Industrie & Verkehr | 27. April 2018

Weltrekord mit ABB

Standseilbahn auf den Stoos überwindet Steigungen von bis zu 110 %

Die neue Standseilbahn auf den Stoos im Kanton Schwyz ist die steilste der Welt. Den Antrieb liefern zwei Motoren und Umrichter von ABB.

Wenn man von der Talstation aus nach oben schaut, könnte man beinahe denken, man sehe die Schienen einer Achterbahn vor sich: Das Trassee der neuen Stoosbahn führt schnurgerade einen extremen Felshang hinauf. Bis zu 110 % beträgt die Steigung; das entspricht einer Neigung von fast 48°. Zum Vergleich: Die weltweit steilste Strasse für Autos, die Baldwin Street in Neuseeland, bringt es gerade einmal auf 35 % und 19°. Und dennoch ist sie für viele Fahrzeuge unbefahrbar.

Die Passagiere in der Stoosbahn merken während der Fahrt allerdings wenig von der enormen Steigung. Sie stehen immer auf waagrechtem Boden und können die Panoramaaussicht geniessen. Möglich macht das eine spezielle Automatik, welche die zylindrischen Personenkabinen laufend der variierenden Neigung entsprechend ausrichtet. Aus diesem Grund konnten auch die Ein- und Ausstiegsperrons in den Stationen horizontal gebaut werden. Das ist zum Beispiel für Personen mit Kinderwagen oder schwerem Gepäck deutlich angenehmer als ein Zugang über Stufen.

Bis zu 110 % beträgt die Steigung; das entspricht einer Neigung von fast 48°.

Lebensader für Bewohner und Betriebe

Die neue Stoosbahn bringt Sonnenhungrige und Freizeitgäste von Schwyz aus in weniger als fünf Minuten ins rund 750 m höher gelegene Wander- und Wintersportgebiet. Daneben stellt sie die Grunderschliessung für das Dorf Stoos mit seinen rund 150 Einwohnern und für die Hotel-, Gastronomie- und Tourismusbetriebe sicher. «Sie ist quasi die Nabelschnur des Ortes», formuliert es Bruno Lifart, Delegierter des Verwaltungsrats bei der Stoosbahnen AG und Projektleiter der neuen Anlage. «Sämtliche Lebensmittel, Materialien und Versorgungsgüter werden mit dieser Bahn transportiert. Öffentliche, ganzjährig befahrbare Strassen auf den Stoos gibt es nicht.»

Die neue Bahn fährt unter anderem dank einem Kraftpaket von ABB: Zwei massgefertigte Elektromotoren des Typs AMI mit je 1,15 MW Leistung liefern die Antriebskraft für das Zugseil. Sie sind im Maschinenraum in der Bergstation eingebaut. Passende Frequenzumrichter des Typs ACS880 regulieren die Motordrehzahl und sorgen für den energieeffizienten Betrieb. So erreicht die Bahn eine Geschwindigkeit von bis zu 10 m/s und kann pro Stunde rund 1500 Passagiere in jede Richtung transportieren.

Einer der beiden ABB-Motoren im Maschinenraum.

Höchste Zuverlässigkeit gefragt

«Der Antrieb mit den Motoren ist das Herzstück der Bahn», erklärt Bruno Lifart. «Aus diesem Grund ist das gesamte Antriebssystem redundant ausgeführt: Motor, Frequenzumrichter, Kupplung, Getriebe und Betriebsbremsen sind zweifach vorhanden. Gäbe es ein Problem in einem Antriebsstrang, könnte die Bahn trotzdem weiterfahren, allerdings mit halber Leistung.»

Zuverlässigkeit und hohe Verfügbarkeit waren entsprechend wichtige Anforderungen an Motoren  und Frequenzumrichter. «Uns ist wichtig, erprobte Produkte mit sehr hoher Qualität einzusetzen», sagt Bruno Lifart. Und zentral ist natürlich auch der Komfort der Passagiere: Die Frequenzumrichter gewährleisten, dass die Bahn sanft und rucklos anfährt.

«Uns ist wichtig, erprobte Produkte mit sehr hoher Qualität einzusetzen.»

Bau unter Extrembedingungen

Die neue Standseilbahn ersetzt die bisherige, über 80 Jahre alte Vorgängerin. Deren Trassee hätte in Zukunft aus Sicherheitsgründen umgebaut werden müssen. Das hätte allerdings zur Folge gehabt, dass der Stoos in dieser Zeit über keine wetterfeste Erschliessung mehr verfügt hätte. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Verantwortlichen dafür, parallel zum Weiterbetrieb der alten Bahn eine neue zu bauen. Sie wählten dabei eine direkte Linienführung von der Talstation ins Bergdorf, woraus die Extremsteigung resultierte. Die gerade Strecke hat neben einer zusätzlichen Verkürzung der Fahrzeit den Vorteil, dass weniger Sicherungsmassnahmen gegen Lawinen und Steinschläge nötig sind als bei der alten Bahn, die in Kurven den Berg hinaufführte.

Der Bau des neuen Trassees war allerdings alles andere als einfach. Niemand hatte je zuvor eine Standseilbahn in solch einem Gelände errichtet. Um im Steilhang arbeiten zu können, mussten die Bauleute ständig an einem Seil gesichert sein. Unter diesen schwierigen Bedingungen trieben sie mit ihren Maschinen drei Tunnels in den harten Fels und verlegten die 222 vorfabrizierten Betonelemente und Schienen. Insbesondere die Tunnelbohrungen erwiesen sich als Knacknuss und nahmen mehr Zeit in Anspruch als geplant.

Am Ende gelang es dem Team jedoch, die Herausforderung erfolgreich zu bewältigen. Mitte Dezember 2017 wurde die neue Bahn mit einem grossen Festakt eröffnet; seither verkehrt sie fahrplanmässig. Die ansässigen Betriebe hoffen, dass dank des spektakulären Transportmittels künftig noch mehr Touristen ihren Weg auf den Stoos finden. Die ABB-Systeme tragen in jedem Fall dazu bei, dass sie schnell und sicher in die Höhe gelangen.

Stossbahnen AG

führt einen Bergbahnenbetrieb mit Erschliessungsfunktion für das Bergdorf Stoos. In einem Leistungsauftrag zeigt sich das Unternehmen zudem für Tourismusdienstleistungen in der Region verantwortlich. Die Zubringerbahn Schwyz–Stoos erschliesst den Stoos in wenigen Minuten und das mit einem Weltrekord: Die Standseilbahn ab Schwyz ist die steilste der Welt. Für die Freizeitbeschäftigung stehen dem Gast auf dem Stoos drei Sesselbahnen und drei Skilifte zur Verfügung.

Das Bergdorf Stoos auf 1300 m ü. M. im Herzen der Urschweiz ist ein familiär-charmantes Ganzjahres-Naherholungsgebiet.