Fokus | 19. Januar 2017

Lebensader der modernen Welt

Die zuverlässige Verteilung elektrischer Energie erfordert Systeme zu deren Sicherung auf allen Spannungsebenen

Eine zuverlässige Stromversorgung gilt in der Schweiz und anderen Ländern Europas als Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig ist sie die Achillesferse unserer hochtechnisierten Welt, denn diese hängt in steigendem Mass davon ab, dass jederzeit Strom zur Verfügung steht. Da selbst kurze Störungen gravierende Folgen haben können, sind Lösungen für umfassende Versorgungssicherheit gefragt.

Von einer Sekunde auf die andere herrscht Dunkelheit in Italien. An einem Wintertag gehen im ganzen Land die Lichter aus – und in Europa brechen aufgrund der fehlenden Last die Stromnetze zusammen: Kraftwerke schalten sich ab, Tankstellen funktionieren nicht mehr, Menschen stecken in Fahrstühlen und U-Bahnen fest. Dieses Schreckensszenario aus Marc Elsbergs 2012 erschienenem Technikthriller «Blackout» ist zwar reine Fiktion, doch ein mehrere Tage andauernder, flächendeckender Stromausfall wäre auch in der Realität eine Katastrophe.

Denn vieles von dem, was Elsberg in seinem Bestseller beschreibt, steht auch in einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), die bereits 2011 die Folgen eines Blackouts für Deutschland analysierte. Die Autoren kamen zu einem beunruhigenden Ergebnis: Ein lang andauernder, grossflächiger Stromausfall würde alle kritischen Infrastrukturen, also die bedeutsamen Versorgungssysteme, lahmlegen; ein Kollaps der gesamten Gesellschaft liesse sich kaum verhindern. Bereits nach wenigen Tagen wäre im betroffenen Gebiet die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen.

«Überrascht hat uns vor allem das geringe Risikobewusstsein in der Gesellschaft trotz des hohen Gefahren- und Katastrophenpotenzials», sagt Professor Dr. Armin Grunwald, der die Studie als Leiter des TAB verantwortete (siehe Interview). Der Physiker leitet ausserdem das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und betont: «Viele Bereiche der kritischen Infrastrukturen sind nicht ausreichend auf eine solche Situation vorbereitet. Hier besteht Handlungsbedarf.»

« Blackouts zeigen, welche Bedeutung die Stromversorgung für moderne Gesellschaften hat. »

Verletzliche Industriegesellschaften

Die Stromversorgung ist die Achillesferse hochtechnisierter Gesellschaften. Nahezu alle Bereiche der Lebens- und Arbeitswelt hängen von elektrisch betriebenen Geräten, Steuerungs- und Regelsystemen ab – und das in immer weiter steigendem Masse. Im Zuge der digitalen Transformation, mit der eine vierte industrielle Revolution einhergeht, wird die sichere Stromversorgung mehr denn je zur Lebensader für alle gesellschaftlichen Bereiche, von der alltäglichen Kommunikation via Smartphone bis hin zu komplexen Unternehmens- und Produktionsprozessen.

Schon lokal und zeitlich begrenzte Stromausfälle werfen ein Schlaglicht auf die Verletzlichkeit der modernen Welt. So kam es im August 2003 im Nordosten der USA sowie in Teilen Kanadas aufgrund von schlecht gewarteten Leitungen zu einem mehrere Tage andauernden Blackout, von dem mehr als 50 Mio. Menschen betroffen waren. In der Schweiz legte eine Leitungsüberlastung im Juni 2005 die Schweizerischen Bundesbahnen lahm: 200 000 Reisende sassen 3 h lang fest. Und als im November 2006 in Deutschland der damalige Übertragungsnetzbetreiber E.ON eine wichtige Hochspannungsleitung über die Ems für die Durchfahrt eines Kreuzfahrtschiffs ausschaltete, gingen in grossen Teilen Europas für knapp 2 h die Lichter aus. «Diese Blackouts zeigen, welche Bedeutung die Stromversorgung für industrialisierte Gesellschaften hat und wie anfällig diese gleichzeitig ist», sagt Raphael Görner, Geschäftsbereichsleiter Grid Integration bei ABB Deutschland.

Kurze Blackouts, grosser Schaden

Dabei sind in Deutschland und in der Schweiz grosse Blackouts sehr selten; die Qualität der Stromversorgung in diesen Ländern gehört im internationalen Vergleich zur Spitze. Laut Bundesnetzagentur hatten die deutschen Verbraucher 2015 im Schnitt rund 12,7 min keinen Strom; 2014 lag die durchschnittliche Unterbrechungsdauer bei 12,3 min. Ähnliche Werte erreichen laut dem Council of European Energy Regulators (CEER) die Schweiz mit 13 min Unterbrechung im Jahr 2014 sowie Dänemark, wo die Ausfallzeit bei nur 11,6 min lag. In Frankreich dagegen gab es im gleichen Zeitraum immerhin 50,2 min lang keinen Strom. Deutlich störungsanfälliger ist die Stromversorgung in den USA. Aufgrund veralteter Stromnetze und extremer Wetterereignisse sind dort Ausfallzeiten von 2 h keine Seltenheit. Auch kurze Blackouts können gravierende wirtschaftliche Schäden anrichten. Bereits wenige Sekunden ohne Strom oder auch nur leichte Spannungsschwankungen – Brownouts oder Überspannungen – genügen, um ganze Produktionsprozesse zum Erliegen zu bringen. «In sensiblen Branchen wie der Halbleiterindustrie oder in der Metallherstellung können Anlagenstillstände Schäden in Millionenhöhe nach sich ziehen», sagt Raphael Görner. Auf der Basis der Kennzahl «Value of Lost Load», die das Niveau an regionaler Wertschöpfung pro kWh Strom im Jahresdurchschnitt beschreibt, hat das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut den volkswirtschaftlichen Schaden eines Stromausfalls für deutsche Städte und Landkreise abgeschätzt. Danach würde in Berlin ein Schaden von rund 23 Mio. Euro entstehen, wenn dort um die Mittagszeit für 1 h der Strom ausfiele.

« In sensiblen Branchen können Stromausfälle Schäden in Millionenhöhe nach sich ziehen. »

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Herausforderung Energiewende

Zu den klassischen Gefahren für die Stromversorgung, etwa extreme Wetterereignisse, technisches oder menschliches Versagen, haben sich in den vergangenen Jahren neue Risiken gesellt. So erhöht in Deutschland der Umstieg auf erneuerbare Energien das Gefahrenpotenzial für die Netzstabilität, da die fluktuierenden Einspeisemengen von witterungsabhängigem Strom die Spannungsqualität beeinträchtigen.

Um Schwankungen zu vermeiden und die Netz- und Systemsicherheit zu gewährleisten, müssen die Netzbetreiber immer häufiger eingreifen, etwa durch einen Redispatch, bei dem sie die Stromeinspeisung von Kraftwerken drosseln oder erhöhen, durch den Einsatz von Reservekraftwerken und durch Einspeisemanagement. 2015 haben sich laut Bundesnetzagentur allein die Redispatch-Einsätze mehr als verdreifacht und stiegen von 5197 GWh im Jahr 2014 auf 16 000 GWh. Die dafür angefallenen Kosten lagen bei etwa 402,5 Mio. Euro, verglichen mit 185,4 Mio. Euro im Vorjahr.

Cybersicherheit als oberstes Gebot

Ein weiteres Risiko für die sichere Stromversorgung birgt die zunehmende Digitalisierung der Energiewirtschaft, die von softwarebasierter Kraftwerkssteuerung bis hin zum Smart Grid und zu intelligenten Stromzählern reicht. Die immer stärkere Vernetzung erhöht die Zahl der Angriffsmöglichkeiten für Internetkriminalität. Ein Hackerangriff in der Ukraine, der Ende 2015 das Stromnetz in weiten Teilen des Landes für mehrere Stunden lahmlegte, zeigt die Verletzlichkeit gegenüber Cyberkriminellen. Der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière hält entsprechende Attacken auch auf das deutsche Stromnetz für möglich.

«Im Zeitalter der Digitalisierung und Massendatenverarbeitung sind elektronische Attacken eine realistische Bedrohung», betont Dr. Ragnar Schierholz, Head of Cyber Security der ABB-Division Process Automation. «Für eine moderne, effiziente Stromversorgung sind heute IT-Systeme notwendig und diese müssen gegen solche Angriffe geschützt werden.» Viele Unternehmen seien sich des Risikos bewusst. «In den vergangenen Jahren hat das Gefährdungsbewusstsein bei unseren Kunden massiv zugenommen», sagt er und ergänzt: «Für Betreiber kritischer Infrastrukturen sollte Cybersicherheit heute Teil des täglichen Geschäfts sein.»

« Im Zeitalter der Digitalisierung sind elektronische Attacken eine realistische Bedrohung. »

Gesetzliche Anforderungen umsetzen

Dem können sich die Unternehmen auch aufgrund von regulatorischen Auflagen – im deutschsprachigen Raum sind dies insbesondere das IT-Sicherheitsgesetz und die neue EU-Direktive für Netz- und Informationssicherheit (EU NIS) – nicht mehr entziehen. Sie sind verpflichtet, alle IT-Systeme, die für das Funktionieren ihrer kritischen Infrastrukturen eine massgebliche Rolle spielen, umfassend zu schützen. ABB investierte in den vergangenen zehn Jahren in grossem Umfang in Cybersicherheit und orientierte sich dabei an internationalen und nationalen Standards sowie an lokalen regulatorischen Auflagen.

Cybersicherheit ist in allen Systemlösungen von ABB integriert. Der Schutz schliesst sowohl die Sicherheitsarchitektur der Systeme als auch die Prozesse des Designs, des Anlagenbaus, der Inbetriebnahme, der Wartung und des täglichen Betriebs ein. Um Anlagen auch unter der sich laufend verändernden Bedrohungslage zuverlässig betreiben zu können, bietet ABB in den Serviceverträgen für die Kunden im Rahmen des Konzepts Power Generation Care optional auch Dienstleistungen rund um die Cybersicherheit an. Dies wird vor allem im Hinblick auf die digitale Transformation immer wichtiger. Die digitalen Technologien von ABB, die unter dem Begriff ABB Ability zusammengefasst werden, unterstützen die industriellen Anwender dabei, die Sicherheit, die Zuverlässigkeit und die Vertraulichkeit zu erhöhen und somit die Energie- und Stromversorgung sicherzustellen. «Dabei spielt Cybersicherheit eine tragende Rolle», betont Dr. Ragnar Schierholz.

Schutz auf allen Ebenen

Grundsätzlich bietet ABB als Technologiepionier eine Vielzahl einsatzerprobter und zuverlässiger Produkte für eine sichere Stromversorgung auf allen Spannungsebenen. Das Spektrum umfasst digitale Schaltanlagen für Übertragungsnetze, Mittel- und Niederspannungsschaltanlagen, mobile Schaltfelder, Batteriespeicher, statische und dynamische Lösungen für die unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV), Spannungsaufbereitungssysteme sowie Dieselgeneratoren mit intelligenter Steuerung. Im Mittel- und Hochspannungsbereich verbessern beispielsweise die Lösungen aus dem FACTS-Portfolio (Flexible Drehstrom-Übertragungssysteme) nicht nur die Spannungsqualität, sondern sorgen auch für eine bedarfsgerechte Blindstrombereitstellung.

Eine Innovation unter den USV-Lösungen von ABB ist MNS-Up. Die weltweit einzigartige modulare Niederspannungsschaltanlage vereint Energieverteilung und unterbrechungsfreie Stromversorgung in einem einzigen kompakten und skalierbaren System. «MNS-Up bietet eine effiziente Energieversorgungsinfrastruktur, die deutlich weniger Platz beansprucht und mit den Anforderungen des Unternehmens mitwächst», sagt André Schärer, Managing Director Electrification Solutions bei ABB in der Schweiz. Das Universitätsspital Basel gehört zu den ersten Kunden, die diese Neuheit nutzen.

Darüber hinaus stellt ABB komplette Elektrifizierungs- sowie Power-Protection-Lösungen für ausfallkritische Anwendungen bereit, massgeschneidert für die Anforderungen der jeweiligen Unternehmen, seien es Rechenzentren, Krankenhäuser oder Unternehmen der Halbleiter- oder Elektronikindustrie.

Sicherheitsbewusstsein nimmt zu

Am Standort Lenzburg in der Schweiz betreibt ABB seit Jahren erfolgreich ein Kompetenzzentrum für sichere Elektrifizierungslösungen. Zu den Kunden zählen namhafte Schweizer und internationale Unternehmen. «Uns ist es ein grosses Anliegen, unseren Kunden zunächst genau zuzuhören, um zu verstehen, wo der Schuh drückt. Auf dieser Basis erarbeiten wir dann Lösungen für die spezifischen Herausforderungen», betont André Schärer. Das Angebot kommt bei immer mehr Kunden an, da das Bewusstsein für die Bedeutung der Stromversorgung für sämtliche Geschäftsprozesse wächst: «Inzwischen sind unsere Netzersatzanlagen auch von Unternehmen gefragt, für die eine unterbrechungsfreie Stromversorgung bislang kein Thema war.»