Infrastruktur | 11. November 2019

Generatoralterung im Griff

ABB-Programm ermöglicht Lebensdaueranalyse

In der einzigen Kehrichtverbrennungsanlage des Tessins sorgt ein ABB-Generator für die Stromproduktion aus der Abfallverwertung. Ein Programm zur Lebensdaueranalyse ermöglicht es, die Alterung des Generators vorauszusehen.

Im Jahr 2009 ging die erste Kehrichtverbrennungsanlage des Tessins in Giubiasco im Bezirk Bellinzona in Betrieb. Statt den Abfall in andere Kantone zu exportieren, konnte er nun regional verwertet werden. Rund 160 000 t Kehricht aus dem Tessin und dem graubündischen Misox kommen hier jährlich an.
In der Anlage steckt viel Energie- und Antriebstechnik von ABB, etwa Transformatoren, Mittel- und Niederspannungsverteilung oder Dutzende Frequenzumrichter im Leistungsbereich von 1,5 bis 900 kW.
Die Verbrennungswärme des Abfalls wird doppelt genutzt. Sie speist ein Fernwärmenetz, das etwa Bezüger in der benachbarten Kantonshauptstadt Bellinzona oder Gewächshäuser in der Magadinoebene mit Heizenergie versorgt.

Die KVA Giubiasco in der Magadinoebene.

Strom für über 20 000 Haushalte

Mit der Hitze der Kehrichtverbrennung wird zudem Dampf erzeugt, der über eine Dampfturbine einen Generator antreibt und so aus der Abfallverwertung Strom erzeugt. Auch dieses Herzstück des Kraftwerkteils in der KVA Giubiasco stammt von ABB: ein Generator vom Typ AMS 900 LH mit einer Leistung von rund 19,5 MW. Der von ihm generierte und ins Netz eingespeiste Strom deckt den Bedarf von rund 23 000 Haushalten – was einer grösseren Schweizer Stadt entspricht.
Der robuste, über 34 t schwere Generator wurde 2008 gefertigt – und läuft rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Abfall wird in den beiden Öfen der KVA immer verbrannt. Wenn eine Linie einmal im Jahr revidiert wird, läuft die andere weiter. Beide Öfen sowie die Dampfturbine und der Generator werden nur alle drei Jahre gleichzeitig für wenige Wochen ausser Betrieb genommen, wenn die Revision der KVA ansteht.

Mögliche Probleme frühzeitig erkennen

Entsprechend wichtig ist es, dass dieser einzige Generator der Anlage zuverlässig, ohne Panne funktioniert. Doch bei aller Robustheit sind Generatoren – wie alle anderen Maschinen auch – Verschleiss- und Alterungsprozessen unterworfen. Beim Generator betrifft das insbesondere die Statorwicklung. Deren Isolationsmaterial ist im Betrieb mechanischen, elektrischen und thermischen Umwelteinflüssen ausgesetzt, was es altern lässt.
Werden keine Gegenmassnahmen ergriffen, treten früher oder später nicht mehr behebbare Mängel auf. Dabei ist es nicht trivial, die Statorwicklung mit vertretbarem Aufwand zu überprüfen. Schäden am Lager hingegen, dem zweiten relativ bedeutenden Ausfallgrund eines Generators, können bei normalen Prüfungen recht zuverlässig erkannt werden. Idealerweise sollten die Gegenmassnahmen so terminiert werden, dass sie im anberaumten Zeitfenster für die Gesamtrevision der Kehrichtverbrennungsanlage umgesetzt werden können.
Genau dafür hat ABB LEAP entwickelt. Das «Life Expectancy Analysis Program» dient der Beurteilung der ungefähren Lebensdauer der Isolierung von Statorwicklungen in Motoren und Generatoren. Die wissenschaftliche Vorhersage der Restlebensdauer einer Statorwicklungsisolation erfordert eine Reihe von Schritten. So muss natürlich ein aktueller Zustand bestimmt werden, zuerst mit grundlegenden Parametern wie Betriebsstunden, Anzahl der Starts, Temperaturen, Instandhaltungshistorie und Ähnlichem. Für die Statorwicklung selbst wendet LEAP vier Messmethoden an, für die der Generator nicht demontiert werden muss.

«Das Konzept hat uns überzeugt. Wir haben für den Generator einen LEAP-Servicevertrag abgeschlossen.»

Fundierte Analyse

Mit diesen Daten führt ABB mit eigener Software und eigenen Algorithmen eine Analyse durch, die ein Gesamtbild der Statorwicklung liefert. ABB kann für die Lebensdaueranalyse auch auf eine Datenbank mit Messungen und Analysen von Tausenden Motoren und Generatoren in aller Welt zurückgreifen.
Einfach ausgedrückt lässt sich so mit hoher Sicherheit bestimmen, wie lange die Statorwicklung noch hält, bis ein Ausfall zu befürchten ist – und wann also Gegenmassnahmen angezeigt sind, um dem entgegenzuwirken. «Dieses Konzept hat uns überzeugt. Wir haben für den Generator einen LEAP-Servicevertrag abgeschlossen», so Marco Rebozzi, Leiter Unterhalt der KVA Giubiasco. «Einerseits wollen wir verhindern, dass eine Panne unseren einzigen Generator, mit dem wir einen bedeutenden Beitrag zur Stromversorgung des Tessins leisten, lahmlegt. Andererseits wollen wir die erforderlichen Lebensdauerverlängerungsarbeiten so terminieren, dass sie innerhalb unserer regulären Revisionsbetriebsunterbrüche durchgeführt werden können.»
Die letzte LEAP-Messung 2017 bestätigte, dass der Generator gewissermassen im besten Alter ist und noch keine Massnahmen getroffen werden müssen. Inzwischen funktioniert er schon über 80 000 Betriebsstunden einwandfrei. «Aber im kommenden Jahr steht der nächste Revisionszyklus an. Dann werden wir nach einer neuen Analyse die Zukunft dieses Herzstücks unseres Kraftwerksteils planen», so Rebozzi.