Industrie & Verkehr | 27. April 2018

Ressourcenschonendes Pionierverfahren

Recyclinganlage für Getränkekartons und Sonderaltpapiere

Der Verpackungshersteller Model AG hat die erste Schweizer Recyclinganlage für Getränkekartons und andere Sonderaltpapiere realisiert. ABB lieferte Energieversorgung, Antriebe, Motoren und Messinstrumente.

Viele Menschen werfen Getränkekartons in den Kehricht, nachdem sie aus ihnen Milch, Fruchtsaft oder andere Getränke konsumiert haben. Auf diese Weise entstehen hierzulande jährlich rund 20 000 t Abfall. Lange war es technisch auch nicht möglich respektive zu aufwendig, die aus Papierfasern, Kunststoff und Aluminium gepressten Hüllen wiederzuverwerten.

Heute ist das anders: Das Ostschweizer Unternehmen Model hat eine Technologie mit dem Namen «Fibre Evolution» entwickelt und an seinem Hauptsitz in Weinfelden eine Pionierrecyclinganlage gebaut. Sie kann auch andere schwer lösliche Sonderaltpapiere wie Papiertragetaschen oder Pappbecher verarbeiten.

75 % Wiederverwertung

Das international tätige Familienunternehmen stellt Kartonerzeugnisse her, zum Beispiel Verpackungen oder Produktedisplays. In Weinfelden betreibt es ein grosses Wellkartonwerk. Als Rohstoff für die Produktion nutzt es Papierfasern, die aus Altpapier gewonnen werden.

Schon seit einiger Zeit hatten die Fachleute einen Weg gesucht, um auch Sonderaltpapiere verwenden zu können. Sie sind günstiger und die in ihnen enthaltenen Fasern haben eine sehr hohe Qualität. Dazu kommt, dass es ökologisch sinnvoller ist, diese Erzeugnisse zu verwerten, als sie mit dem Kehricht zu verbrennen: «Wir können mit dem Verfahren ganze 75 % des Ausgangsmaterials in Form von Fasern zurückgewinnen. Das reduziert Emissionen und schont Ressourcen», verdeutlicht Ernst Herzog, Projektleiter bei Model. Er war massgeblich für die Planung und den Bau der Anlage mitverantwortlich.

Das Wiederaufbereitungsverfahren dauert nur einige Minuten, ist aber technisch komplex. Das
Sonderaltpapier wird zerhackt und mit Wasser vermischt. Darauf folgt der eigentliche Kernprozess: Er trennt die Papierfasern von anderen Materialien wie Aluminium und Kunststoff und sortiert Letztere säuberlich aus. Wie die Trennung genau funktioniert, ist ein Betriebsgeheimnis. Die Suspension mit den Papierfasern durchläuft in der Folge eine Vielzahl von Sortier- und Filterprozessen, um die hochwertigen Fasern von den weniger guten zu trennen. Am Ende wird die Suspension in die Papiermaschine eingespeist. Dort entstehen Papierbahnen, aus denen später Wellkarton gefertigt wird.

«Wir können mit dem Verfahren ganze 75 % des Ausgangsmaterials in Form von Fasern zurückgewinnen.»

Breite Palette von ABB-Systemen

Zum Funktionieren der Anlage tragen verschiedenste ABB-Systeme bei: Über 70 Frequenzumrichter vom Typ ACS880 sorgen für die Drehzahlregulierung und den energieeffizienten Betrieb aller Motoren, die Sortiermaschinen, Pumpen und die übrigen Prozesse antreiben. Ein Teil dieser Motoren stammt ebenfalls von ABB. Sie erbringen Leistungen von 7,5 bis 800 kW. Wo immer technisch möglich, haben die Verantwortlichen dabei Motoren der höchsten Energieeffizienzklasse IE4 eingesetzt. «Wir wollten bezüglich der Energieeffizienz das Maximum herausholen», betont Ernst Herzog. «Als Betrieb mit Energiemanagementzertifikat ISO 50001 sind wir verpflichtet, den Energieverbrauch all unserer Prozesse zu optimieren. Ausserdem können wir so natürlich Betriebskosten senken.»

Von ABB stammt auch die gesamte Energieversorgung der Antriebe und Motoren. Die Anbindung an das Stromnetz erfolgt über eine Mittelspannungsschaltanlage mit zehn Feldern des Typs ZS8.4, ausgestattet mit Schutzgeräten REF615. Für die Umwandlung der Spannung von 16 800 V auf die nötigen 690 bzw. 420 V sorgen sechs Transformatoren mit einer Leistung von je 1600 kVA. Zwei Niederspannungsschaltanlagen vom Typ MNS 3.0 und sechs Motor Control Center MCC 3.0 gewährleisten die Energieverteilung auf die einzelnen Frequenzumrichter und Motoren sowie deren Steuerung.

Weiter hat ABB rund 130 verschiedene Messinstrumente geliefert. Sie erheben eine Vielzahl von Daten in der Anlage wie etwa den Durchfluss der Fasersuspension in den Leitungen oder den Füllstand in den Tanks. Für die Betriebsmitarbeitenden von Model ist es zentral, solche Parameter jederzeit verfolgen zu können, um die Prozesse zu überwachen und zu steuern.

«Wir wollten bezüglich der Energieeffizienz das Maximum herausholen.»

Erfolgreiche Realisierung unter Zeitdruck

Bei der Entscheidung für die ABB-Systeme gaben mehrere Faktoren den Ausschlag: «Wir haben verschiedene Anbieter verglichen. Am Ende sprachen das Gesamtangebot und die guten Erfahrungen aus früherer Zusammenarbeit für ABB», erklärt Ernst Herzog. «Die ABB-Verantwortlichen haben im Projektverlauf dann auch ihre hohe Fachkompetenz unter Beweis gestellt. Nicht zuletzt konnten sie die sportlichen Terminanforderungen einhalten.»

Eine positive Bilanz zieht der Projektleiter auch insgesamt: «Nach den jahrelangen Planungsarbeiten war es eine Genugtuung zu sehen, wie die Anlage Realität wurde. Für mich ist es ein Highlight, dass uns dies neben unserem Tagesgeschäft und unter hohem Zeitdruck gelungen ist.»

Die Anlage läuft im Testbetrieb. Künftig soll sie die Kapazität haben, pro Jahr bis zu 75 000 t Sonderaltpapier zu verarbeiten – mehr als genug, um sämtliche Getränkekartons der Schweiz zu rezyklieren. Model bezieht diese derzeit aus diversen Sammlungen einzelner Gemeinden oder von Detailhändlern. Es gibt in der Schweiz auch Bestrebungen, ein einheitliches Sammelsystem aufzubauen. Die nötige Technologie für das Recycling ist mit der Pionieranlage in Weinfelden jedenfalls nun vorhanden.

Model Holding AG

Die Model-Gruppe entwickelt, produziert und liefert intelligente, innovative und qualitativ hochwertige Verpackungslösungen aus Voll- und Wellkarton, von der einfachen Transportverpackung bis hin zur hochveredelten Praliné- und Parfumbox. Die Gruppe besteht aus zehn Tochtergesellschaften in neun Ländern und beschäftigt mehr als 4200 Mitarbeitende.
Weitere Infos: www.modelgroup.com